Weinreb Stiftung

Seitenanfang: Liste der Access-Keys

Inhalt:

Nachrufe

Marian von Castelberg
Marian von Castelberg

Ein Leben aus der Stille



Marian von Castelberg-Meyer, die Gründerin der Friedrich Weinreb Stiftung, ist am 16. Juli in Zürich verstorben. In ihrer äusseren Biographie lebte sie ein aktives der Welt zugewandtes Leben, in ihrer inneren Biographie lebte in ihr die Sehnsucht nach dem Ewigen, die sie in der »Nähe Gottes« intim lebte und die sich in der Begegnung mit spirituellen Menschen immer wieder von Neuem erfüllte. Ganz besonders in Friedrich Weinreb begegnete sie einem im Geiste verwandten Menschen, mit dem sie eine lebenslange, tiefe Freundschaft verband. Im Jahre 1980 gründete sie mit ihm die Friedrich Weinreb Stiftung in Zürich. Dank ihrer Weitsicht und Grosszügigkeit kann so das Werk der jüdischen Mystik von Friedrich Weinreb jetzigen und künftigen Generationen zugänglich gemacht werden. Die Gedenkfeier fand am 27. Juli in der Erlöserkirche in Zürich statt. Eine Würdigung. Von Eugen Baer.



Nach einer alten jüdischen Überlieferung ist alles in dieser Welt Erscheinende – auch die Welt als erscheinende – bloß ein Achtel der Wirklichkeit. Sieben Achtel sind verborgen und gehören zum Geheimnis des Menschen, insofern er auf dieser Erde nur ein Gast ist. Wir freuen uns, daß ein ganz besonderer Gast auf dieser Erde in das verborgene Geheimnis heimgehen durfte, dorthin nämlich, wo sie sich ihr ganzes Leben hinsehnte.

Marian Meyer wurde am 15. August 1926, am Fest Mariä Himmelfahrt, im Brunnenhof an der Südstrasse in Zürich geboren. Ihr Name «Marian» erwies sich schon sehr früh als Omen für ihr Leben, denn schon von klein auf zeigte sich im sensiblen Kind eine Sehnsucht nach dem Religiösen, und besonders nach der Mutterseite in Gott. Sie erlebte eine vom religiösen Geheimnis durchwirkte Kindheit und liebte besonders die Stille der Kirchen. Sie erzählte gerne, daß, als sie noch ein kleines Kind war, ein ganz besonderer Kirchenbesuch in einer katholischen Kirche – sie war von Haus aus protestantisch – eine tiefe Wirkung auf sie ausübte. Und zwar war es das weiss-rote Licht, das in der Nähe des Tabernakels brannte, das es ihr antat. Das Licht, in Weiss und Rot gekleidet, gab ihrer zarten Kindesseele den Eindruck einer numinosen Realpräsenz des Göttlichen, ein bleibendes Gefühl der Nähe Gottes in der Stille und Dunkelheit des Allerheiligsten.

 

Im inneren Gebetsraum
Wie das so ist bei Kindern, die ein tiefes Gespür für das Geheimnis des Lebens haben, Marians Hang zum Religiösen brachte auch eine innere Einsamkeit mit sich, obwohl sie ein lebhaftes Kind war. Aus dieser inneren Einsamkeit formte sich in ihr früh ein Zug zum inneren Gebet, das wortlos alles Zeitliche auf das Ewige hin relativierte. Von diesem inneren Gebetsraum her formte sich im Kind Marian ganz sachte eine Suche nach religiösen Vorbildern, die sie besonders beim katholischen Brauch der Heiligenverehrung fand. Da viele dieser Heiligen einem religiösen Orden angehörten, verband sich im heranwachsenden Kind bald der Wunsch und der Traum, irgendwann ein Klosterleben führen zu können. Als junge Frau fühlte sie sich so stark vom Katholizismus angezogen, daß sie an Ostern 1947, im Alter von 21 Jahren, konvertierte.

 

Ein Jahr darauf erfolgte die Ehe mit Carlo von Castelberg, nachdem sie sich schon jahrelang kameradschaftlich gekannt hatten. Die Ehe wurde mit vier Kindern gesegnet, zwei Mädchen, Monica und Brida, und zwei Söhne, Christian und Dominic. Marian von Castelberg reiste mit ihrem Mann rund um die Welt. Die junge Familie lebte bis 1963 in der Stadt Zug. Nach der Trennung von ihrem Mann und nach dem Tod ihres Vaters, wurde der Brunnenhof an der Südstrasse in Zürich zur bleibenden Stätte Marian von Castelbergs. Sie fühlte sich während dieser Zeit innerlich einsam und forschte mit beständigem Fragen nach dem Sinn ihres Lebens und des menschlichen Lebens im allgemeinen. Sie suchte, sagte sie damals oft, «nach einem Lehrer». Der brach dann auch, nach langem Warten, unerwartet in ihr Leben ein, und zwar in der Form einer Begegnung, die ihr ganzes Leben verändern sollte. Im Jahre 1972 begegnete sie hier in Zürich Friedrich Weinreb,  Mystiker und Autor über jüdische Mystik, der in seinen Vorträgen in Zürich und generell im deutschen und holländischen Sprachraum aus altem jüdischen Wissen, verschiedenen Gruppen von Menschen einen Ausblick auf den Sinn des Lebens von der Bibel her eröffnete. 

 

Begegnung mit Weinreb
Im menschlichen Leben gibt es Begegnungen, die das ganze Leben verändern. So war es auch bei Marian von Castelberg. Als sie 1972 Friedrich Weinreb begegnen durfte, begegnete sie einem Menschen, der so wie sie eine tiefe Sehnsucht nach dem Ewigen in sich hegte und der von der jüdischen Überlieferung her überzeugt war, daß wir diese Sehnsucht nicht in uns spüren könnten, es sei denn, wir seien irgendwie schon in Berührung mit dem, was wir so innig ersehnten. Im christlichen Westen wurde diese Sicht hauptsächlich vom heiligen Augustin und von Blaise Pascal vertreten. Weinreb hat die Begegnung mit Marian von Castelberg in folgenden Worten hinterlassen:

 

«Gegen Ende Januar 1972 erhielt ich einen Brief von Marian von Castelberg. Sie teilte mir mit, sie würde sich über einen Besuch freuen. Nun, was ist da noch weiter zu erzählen? Eigentlich nur, daß ich einen Menschen kennenlernte, der mir ohne oder jenseits der Worte zeigte, daß es in der Welt also doch eine ungeahnte, tiefe, selbstverständliche Frömmigkeit gab, eine Hingabe in Bescheidenheit; Bescheidenheit eben kann sogar schon die schönste und beste Hingabe sein. Denn nur wer sich selbst als unbedeutend sieht, kann sich ohne weiteres dem Ewigen zuwenden. Das hier schwer machende Gewichtige verhindert das Aufsteigen, das Sich-Gott-nähern.»

 

Der Gedanke, daß wir zugleich in einer Welt des Werdens und einer Welt der Ewigkeit leben ist nicht neu, wird aber selten so durchlebt wie es bei Marian von Castelberg der Fall war. Deshalb ist es unmöglich, wie es auch bei Friedrich Weinreb der Fall ist, ihr Leben und ihr Lebenswerk einfach historisch vorzulegen. Weil Menschen sich in einer durch Sprache, Kunst, Religion und Philosophie bezeugten doppelten Erfahrungswelt bewegen, haben sie auch eine doppelte Biographie. Einerseits eine irdische – von der Erde geprägt – , die von geschichtlichen Fakten bezeugt wird und sich innerhalb handgreiflicher Grenzen von physischer Geburt bis hin zum Tod vollzieht. Es ist eine empirische Biographie, die ihr Anfang und Ende in der Erde hat, von Staub zu Staub. Bei Marian von Castelberg ist diese Seite ihrer Biographie an ihr Ende geraten. Andererseits aber hat sie im Wort auch eine göttliche Biographie, die ihr Leben in Gott, im Übersinnlichen, zum Gegenstand hat. Diese vom Ewigen her zelebrierte Biographie kann natürlich nie handgreiflich sein, ist vielmehr verborgen und gehorcht ganz anderen Maßstäben.

 

In Friedrich Weinreb nun begegnete Marian von Castelberg 1972 einem Menschen, der die Welt der Bibel wie sie als eine heilige Traumwelt erfuhr und sie vom jahrtausende alten Wissen der jüdischen Kabbala von innen her erhellen konnte. Die Begegnung wurde zur lebenslangen Freundschaft. Während 16 Jahren, bis zu Weinrebs Tod im Oktober 1988, förderte Marian von Castelberg Weinrebs Wirken nicht nur finanziell, sondern auch durch ihre innere Geistesverwandtschaft und oft durch persönliche Begleitung zu seinen vielen Vorträgen in Österreich, Deutschland, und in der Schweiz. Sie ermöglichte es auch, im Brunnenhof ein Arbeitszimmer und eine Bibliothek für Weinreb einzurichten, wo jährlich Seminare stattfanden, wie die Brunnenhof-Seminare und Zürcher-Gespräche, bei denen alltägliche, geisteswissenschaftliche und spirituelle Themen von Teilnehmern aus aller Welt diskutiert und auch schriftlich der Welt weitergegeben wurden. Noch zu Weinrebs Lebzeit gründete sie im Jahre 1980 die Friedrich Weinreb Stiftung, die für die Verbreitung und Erhaltung von Weinrebs Werk sorgt. Nach Weinrebs Hinscheiden im Jahre 1988 war sie bis zum Jahre 2000 deren Präsidentin und darnach deren Ehrenpräsidentin.

 

Daseinsanalytikerin
Schon bevor Marian von Castelberg Friedrich Weinreb begegnete, begann sie sich für die Psychoanalyse zu interessieren und erhielt eine Ausbildung in der Schule der Daseinsanalyse. Jahrzehntelang war sie als Daseinsanalytikerin tätig. Und von Weinreb erhielt sie einen neuen Zugang zu den mystischen Dimensionen der Heiligen Schrift. Ihr Glaube wuchs und blieb für Marian von Castelberg bis zu ihrem Hinscheiden ihr ganz persönliches Geheimnis.

Die innere verborgene Biographie Marian von Castelbergs ging nach Weinrebs Tod weiter. 1998 machte sie auf einer Pilgerfahrt nach Medjugorie im Gebiet von Bosnien-Herzegowina die Bekanntschaft des Franziskaner Paters Slavko, in welchem sie eine geistige Verwandtschaft erkannte. Obwohl er frühzeitig in die Ewigkeit heimgerufen wurde, war es doch bei ihm und anderen Mitgliedern des katholischen Klerus ersichtlich, dass Priesterfreundschaften sich wie eine geheimnisvolle Spur durch Marian von Castelbergs verborgene Biographie ziehen.

 

Die Welt des Klosters
Ihre wohlbezeugte Laien–Berufung zum innerlichen Klosterleben sollte sich noch auf andere Weise manifestieren. Um die Jahrtausendwende ermöglichte sie zwei Karmelitinnen aus Innsbruck, Sr. Josefa and Sr. Maranatha, in die Schweiz zu kommen um mitten im evangelischen Humlikon ein anonymes Klosterleben zu führen, das im Geiste der christlichen Spiritualität auf stille Art das karmelitische Ideal des Nonnenlebens ins 21. Jahrhundert zu übersetzen suchte. Ganz wie Marians Innenwelt war auch die Klosterwelt dieser zwei Klosterfrauen innerlich verborgen. Sie lebten ihre Berufung ohne Namen und im Schweigen. Im Jahre 2010 wechselten sie ihren Wohnort. Das Leben der Schwestern zeigt die verborgene Kraft eines unscheinbaren modernen Christentums, das auch Marian von Castelberg personifizierte.

Die Spannungen, die lange Zeit in Marians Leben zwischen ihrer verborgenen Berufung und ihren sichtbaren Familienverpflichtungen  existierten, nahmen gegen Ende ihres langen und fruchtreichen Lebens ab. Die Familienbande verstärkte sich. Die Liebe, die Marian von Castelberg zeitlebens zu ihren Kindern hatte, wuchs und gleichzeitig auch das gegenseitige Verständnis. Der Zug nach ihrem inneren Zuhause, nach Gott, nach ihrer transzendenten Heimat wurde immer stärker und manifestierte sich in der Freude, die Marian von Castelberg immer an Gesprächen mit ihren priesterlichen Freunden hatte.

Von Sokrates wird berichtet, daß er mit seinen letzten Worten seine Schüler bat, nach seinem Tod dem Asklepios einen Hahn zu opfern. Es war Brauch, im alten Athen, nach einer Heilung, wenn man wieder gesund war, dem Gott einen Hahn zu opfern. Auch sie glaubte, daß der Tod eine endgültige Gesundheit mit sich bringt und ein Wiedersehen mit allen, die sie geliebt hat. Nun ist Marian mit Maria beim Herrn. Nun ist alles gut. Das rote Licht, das ihr in ihrer Jugend die dunkle Gegenwart Gottes näher brachte, hat sie heimgeführt ins ewige Licht.

Eugen Baer, Stiftungsrat, Professor der Semiotik und der Philosophie



zurück zur Übersicht