Im freien Leben
Es ist ein Glücksfall, dass nach Jahren wieder ein neues Buch von Friedrich Weinreb mit dem vielschichtigen Titel «Leben in Freiheit» erscheinen kann. Freiheit, das ist zunächst einmal die Begegnung mit uns selbst, die Begegnung in unserem eigenen Leben mit dem, was immer schon da war und immer da sein wird. Diese Grunderfahrungen zu einem freien Leben im Gewahrsein des Ewigen erzählt er am Beispiel der Erzväter und Erzmütter. Von Heini Ringger
In «Leben in Freiheit» erzählt Friedrich Weinreb vom Leben der Erzväter und Erzmütter. Es wird geboren, gestorben, geheiratet, geopfert, getäuscht, gekämpft, gegeben, genommen, gekommen, gegangen, verkauft, verzerrt, vermittelt, erfahren und erkannt. Wie im menschlichen Alltagsleben auch. Weinreb erzählt aber das menschliche Geschehen von der Bibel her – im Sinne der Kabbala. Die Erzväter und Erzmütter leben in uns, in unserem Nichtbewussten. Von dort leben sie auch in unserem Bewussten, archetypisch in unserem Alltag.
Am Beispiel der Erzväter erzählt Weinreb vom Ursprung des menschlichen Geschehens. Immer wieder bezieht er sich dabei auch auf die beiden Schöpfungsgeschichten, Genesis 1 und 2. Er erzählt von den Grenzen und ihren Erfahrungen. Freiheit ist zunächst eine Freiheit in Grenzen. Denn Freiheit ohne Grenzen ist unbegrenzt, ist leer. Insofern ist Freiheit im Raumzeitlichen, in unserem Alltag immer die Wahl der Abhängigkeiten. Weinreb erzählt vom Erkennen der Grenzen, vom Unterscheiden der Welten und ihren Formen und schliesslich vom Überschreiten der Grenzen. Er erzählt von menschlichen Grunderfahrungen und von deren Voraussetzung zur Transzendenzerfahrung. Im Lichte der Erzväter und Erzmütter lässt sich somit mehr als nur eine Weise der Freiheit erleben.
Freiheit, das ist für Weinreb zunächst die Begegnung mit uns selbst, die Begegnung in unserem eigenen Leben mit dem, was immer schon da war. Im Lehrhaus des Wortes führt er uns von der Innenwelt in die Aussenwelt des Wortes, vom Mythos in den Logos, die unsere irdische und kosmische Wirklichkeit kreieren. Erzählend staunt er über das Wirken der verborgenen Welten und er lässt uns staunen über unser Wirken in der Vielfalt der erscheinenden Welten mit ihren unzähligen Alternativen. Wie denken wir? Wie entscheiden wir? Wie handeln wir? Immer sind wir zwischen Himmel und Erde gestellt und immer sind wir frei in unseren Beziehungen zur Natur und zu den Mitmenschen.
Weinrebs kabbalistische Erzählweise der Erzväter führt uns in unsere inneren und äusseren Dimensionen hinein. In sich durch sie hindurchgehend erzählt er vom Wiedererkennen des Ewigen. Isaaks Opferung – die Sicht in den Himmel. Der Segen Isaaks – die Vereinigung von Nichtbewusstem und Bewusstem. Jakobs Traum auf dem Stein – die Verbindung von Himmel und Erde. Jakobs Ringen mit dem Engel Esaus und sein Sieg – die Integration des irdischen Schattens zum ganzen, zum heilen Menschen. Wie im Mythos so vollzieht sich das Geschehen auch in unserem Leben hier.
In tausendfachen Variationen führt er uns durch unser Leben in ein gegenwärtiges, freies Leben. Er erzählt vom Paradies, vom ganzen Menschen vor der Spaltung in Mann und Frau. Er erzählt von der Vertreibung aus dem Paradies, vom verlorenen Paradies und vom wiedergefundenen Paradies. Das erzählt er archetypisch von Adam bis zu den Erzvätern. Sie bringen wieder die Nähe, ja die Bindung an das Paradies, in einer anderen Bewusstseinsschicht, näher dem Leben hier. Wir erleben, wie unser Bewusstes und Nichtbewusstes im Traum vom Paradies immer wieder aufs Neue zusammenkommen. Auf diesem mittleren Weg erleben wir die Erzväter als Mittler zum freien Leben, in dem die Einheit jederzeit überall existiert. Dabei vermittelt er nie ein schlüssiges Welt- und Menschenbild. Er öffnet – innerhalb der uns auferlegten Grenzen – alles ins Unbegrenzte. Ohne alles verstehen und wissen zu wollen und zu können, ist das Unmögliche plötzlich möglich.